Deutschlands Pferde sind zu dick – Tendenz steigend?
Wir haben mit Prof. Dr. Ellen Kienzle von der Universität München
gesprochen und das Team von der mobilen Pferdewaage einen Tag lang
begleitet
Der silberne Koffer, den Manfred Müller aus dem Kofferraum seines Kombi holt, sieht aus wie ein Zauberkasten. Doch von David Copperfield-Methoden ist der Erfinder der mobilen Pferdewaage weit entfernt. „Obwohl viele Reiter nach dem Wiegen ebenso erstaunt sind, wie nach dem Verschwinden der Freiheitsstatue“, sagt der 42-Jährige Ingenieur. Seit zwei Jahren reist der Schwabe mit seiner Waage durch die Republik, um Pferde zu wiegen. Was ist neu an der Wiegemethode? „Die digitale Waage mißt auf das Gramm genau, ist so konstruiert, dass sie mit dem Auto zu transportieren ist und die Pferde keine Angst davor haben“, so Manfred Müller.
Innerhalb von zehn Minuten hat er die Waage auf dem Putzplatz des Reit-vereins Geesthof in Hamburg-Sülldorf aufgebaut.
Etwas skeptisch schauen die acht freiwilligen Teilnehmer zu:
„Wiegen? Wozu?“
„Immer mehr Pferde leiden unter Übergewicht“, sagt Professor Doktor
Ellen Kienzle von der Veterinärmedizi-nischen Universität in München.
Seit zwei Jahren werden an der Uni Pferde gewogen, um einen so genannten
Body Condition Score (BCS) zu entwickeln. Dabei handelt es sich um das
Verhältnis zwischen Muskel- und Fettmasse beim Pferd. Den Tierärzten
stellt sich die Frage, wie das Unterhautfettgewebe in Relation zur Größe
und zum Gewicht des Pferdes idealerweise beschaffen sein sollte. „Das
Pferd benötigt Fettreserven, allerdings besitzen viele Pferde zu viel
davon“, so Dr. Ellen Kienzle.
Die Stunde der Wahrheit
Bevor die Reiter ihre Pferde auf die Waage von Manfred Müller stellen, müssen sie einen Tipp abgeben. Innerhalb von einer halben Stunde sind alle acht Pferde gewogen. Andere Reiter aus dem Stall sind aufmerksam geworden und wollen ihr Pferd wiegen lassen. „Das kennen wir“, sagt Manfred Müller, „zuerst sind die Leute sehr skeptisch. Aber wenn sie sehen, wie unkompliziert das zugeht, dann wiegen wir meistens nicht die angekündigten zehn sondern zwanzig Pferde.“
Die Pferdewaage überträgt die empf-angenen Daten auf eine Anzeige.
Manfred Müller erfasst den Pferdenamen, Alter, Geschlecht und Größe und
erstellt für jeden Teilnehmer einen Wiegepass. Die Ergebnisse werden
erst bekannt gegeben, nachdem alle Pferde gewogen sind. „Sonst können
sich die anderen an den Werten der bereits gewogenen Pfer-de
orientieren“, so Müller. Das Gewicht eines Pferdes zu schätzen ist reine
Glückssache und auch die altbekannte Methode, bei der man den
Brustumfang mit sich selbst und mit der Körperlänge multipliziert und
durch 11900 dividiert, um das Gewicht zu ermitteln hat sich als
fragwürdig erwiesen.
„Das Ergebnis dieser Methode und das Gewicht, das die Waage anzeigt,
klaffen ziemlich häufig weit auseinander“, wissen Dr. Ellen Kienzle und
Manfred Müller.
Auch im Reitverein Geesthof lagen fast alle Reiter mit ihrer Schätzung weit daneben. Das kann unter Umständen verheerende Folgen haben. Gordon Valentiner hat seinen Holsteiner Wallach Campino auf 580 Kilogramm geschätzt. Das tatsächliche Gewicht: 646 kg. Eine Tube Wurmkur ist für ein Pferd ausgelegt, das circa 500 Kilogramm wiegt. „Der Effekt der Wurmkur wird bei Campino hinfällig. Um ihn wurmfrei und damit auch gesund zu erhalten, müsste er jeweils eineinhalb Tuben bekommen“, erklärt Manfred Müller. …
Den vollständigen Artikel lesen Sie in der Ausgabe 12/2002 des Magazins „St.Georg“
Textauszug aus der Zeitschrift „Reiterjournal“
Tabelle nach Caroll und Huntington
Bilder von „Der mobilen Pferdewaage“